das innere

die lage der körper von 1949 bis 2001

Am 1.8.1949 wird Ewald Kittl in Wien in der Krummgasse 1a/5, 1030 Wien, in dem Ehebett seiner Eltern gebo­ren, in dem er auch gezeugt wurde. Sein Vater August war bei der Geburt anwesend, und die Schmerzen der Geburt erschreckten ihn dermaßen, daß er ab diesem Zeitpunkt keinen sexuellen Kontakt mit einer Frau mehr hatte. Den nächsten Geschlechtsakt an diesem Ort sollte erst wieder der soeben geborene Ewald Kittl erfahren. Im Ehebett lagen aber auch nach der Geburt weiterhin sein Vater auf der rechten und seine Mutter auf der linken Seite. Bis 1954 lag Ewald Kittl mit dem Kopf zum Ehebett hin in einem Gitterbett, das die linke Seite des Ehebettes berührte. Von 1955 bis 1958 schlief Ewald Kittl auf einem Diwan an der Fensterseite des gleichen Zimmers. Fallweise lag er auch zwischen beiden Eltern in deren Ehebett, dann aber mehr auf der Seite der Mut­ter. Ende 1958 wurde Ewald Kittl wegen Gelbsucht in ein Spital eingeliefert. Anfang 1959 wurde Ewalds Mutter wegen Brustkrebs ebenfalls in ein Spital eingewiesen. Im März 1959 kamen Mutter und Sohn noch ein letztes Mal für einen Tag in der Wohnung Krummgasse 1a/5 auf dem elterlichen Bett zusammen. Seine Mutter lag wie immer auf der linken Seite des Bettes und Ewald neben ihr, mehr in der Mitte an ihrer rechten Seite. Sie zeigte Ewald die Narbe ihrer rechten abgenommenen Brust. Seine Mutter sprach an diesem Tag wenig. Er wußte spä­ter nicht mehr, ob sie Polnisch, die Muttersprache seiner Mutter, oder Deutsch miteinander gesprochen hatten. Nach dieser Begegnung aber sprach er nie wieder Polnisch. Beide kamen noch am selben Tag wieder in die je­weiligen Krankenhäuser zurück und seine Mutter starb eine Woche später. Der Kopf seiner Mutter lag bei dieser letzten Begegnung, wie auch davor immer, an der Stelle, an der der Kopf Ewald Kittls an seinem Sterbe­tag lag, als er das letzte Mal schlief. In den Wochen, die Ewald Kittl nach seinem Krankenhausaufenthalt noch in der elterlichen Wohnung verbringen durfte, schlief er auf der rechten Seite seines Vaters im Doppelbett, während sein Vater an der Stelle schlief, an der seine Frau immer gelegen hatte. Schon im April 1959 mußte Ewald Kittl sein Zuhause verlassen und kam in ein öffentliches Heim. Sein Vater aber blieb bis 1974 in dieser Wohnung und schlief weiterhin in diesem Bett. Von 1974 bis 1976 wurde die Wohnung vom Hauseigentümer renoviert und dabei das Ehebett aus dem Zimmer in ein anderes gebracht. Am 16.8.1976 kam Ewald Kittl mit Anneliese Weithaler in diese Wohnung zurück und stellte das noch vorhandene elterliche Ehebett wieder an seiner ursprünglichen Stelle auf. Bis 1982 benützten er und Anneliese Weithaler dieses Bett an diesem Ort. Ewald lag und schlief dabei auf der rechten Seite, wie in den Wochen nach dem Tod seiner Mutter und wie auch schon sein Vater. 1983, in dem Jahr, in dem sein Vater starb, entfernte Ewald Kittl das elterliche Bett und ersetzte es durch ein Einzelbett. Ab nun lag sein Kopf an der selben Stelle, in der gleichen Höhe, wie der Kopf seiner Mutter bis zu ihrem Tod, der Kopf seines Vaters kurz nach dem Tod seiner Mutter und der Kopf von Anneliese Weithaler bis zur Scheidung von Ewald Kittl. Die Lage seines Körpers im Schlaf war nun wie ein Spiegelbild der Lage seines Körpers in den ersten fünf Lebensjahren. Der Körper hatte sich nun tatsächlich seit seiner Kindheit um 180 Grad gedreht und der Punkt, an dem die Träume in Erscheinung traten, war auch der Ort seiner Erinnerung. Am 18. Oktober 2001 verstarb Ewald Kittl im Hausflur nahe seiner Wohnungstüre Krummgasse 1a/5, 1030 Wien. Die dortige Lage seines Körpers im Schlaf hatte sich bis zu seinem Todestag nicht mehr verändert.